»Ich wünsche mir einen Hund. Wenn ich einen Hund habe, werde ich bestimmt wieder gesund«
»Warum eigentlich nicht?«, ich tat alles in dieser Zeit, um ein Umfeld zu erschaffen, in dem gesundes Kinderlachen wieder möglich sein würde. Ich suchte Wohnraum auf dem Land und klärte im Vorfeld ab, ob Hundehaltung erlaubt sei.
Wir fuhren einige Tierheime ab. Doch so gerne ich mich schwieriger Fälle annehme, zu der Zeit war ich nicht in der Lage, einen Hund zu betreuen, der besondere medizinische und therapeutische Versorgung gebraucht hätte. Traumatisierte Tiere, die sich durch ängstliches oder aggressives Verhalten hervortun würden, kamen nicht in Frage. Und so blieb die Suche in umliegenden Tierheimen erfolglos.
Als nächstes studierte ich die Kleinanzeigen im Internet. Ich wollte einem Hund ein Zuhause geben, den es schon gab. Züchter kamen nicht in Frage. Irgendwo wird eine Hundeseele sich nach unserem Zuhause sehnen, dachte ich mir. Ohjee. Das waren viele Seelen. Sie kamen aus Spanien, Griechenland, Rumänien.
Tierschützer, scheinbar in ganz Europa verteilt, sammelten Hunde von der Straße, aus Tötungsstationen. Befreiten sie aus Massenzuchtanlagen.
Ich schränkte die Suche ein. Postleitzahlengebiet, Größe, Alter. Scrollte, scrollte und plötzlich … saß da vor mir mein Traumhund aus Kindertagen. Kuschlig, schwarzbraun, mit einem Gesicht wie ein Teddy. Sollte sich mit dreißig Jahren Verzögerung mein alter Wunsch erfüllen?
Ich las die Anzeige. Lukas war ein dreiviertel Jahr alt. Mit drei Monaten war er aus einer Tötungsstation in Spanien befreit und in Deutschland von einer älteren Dame adoptiert worden. Und nun die Crux: Diese Frau war sterbenskrank, und Lukas war nach einem halben Jahr Hundeparadies wieder in der Tierschutzstelle gelandet, die ihn einst vermittelt hatte. Und er litt tierisch. Ein Tibet-Terrier-Mix. Wer sie kennt, weiß, wie anhänglich diese Rasse ist. Sie ertragen viel. Nur nicht, dass sie nicht dabei sein dürfen.
Die Geschichte schrie nach mir und sofort rief ich an. Ich hinterließ meinen Spruch auf dem AB. Dann schrieb ich eine E-Mail. Und wartete. Und. Nichts geschah. Keine Antwort.
Es wäre auch zu schön gewesen, dachte ich traurig. Aber, kein Wunder, dass dieser Traumhund nicht mehr zu haben ist. Meine kurz währende Vorfreude erstickte im Keim.
Nach ein paar Tagen gab ich das Warten schließlich auf und suchte im Internet nach einem anderen Hund. Ich stieß auf Fanny. Einen Mischling von der griechischen Insel Paros. Gleichnamige Hilfsorganisation meldete sich auf meine Anfrage sofort zurück. Dabei kam heraus, dass Fanny gerade läufig wäre und es auch noch an einer Flugbegleitung mangeln würde. Hm, ich überlegte und: »Ich wollte schon immer mal nach Griechenland. Dann kann ich doch eine Woche Urlaub auf Paros machen und mir Fanny angucken und wenn es passt, nehme ich sie mit nach Deutschland« Die Idee kam gut an und ich checkte schon mal die Kosten für einen Flug.
Ein paar Tage später saß ich beim Friseur. Dort erzählte ich aufgeregt meinen Plan: »Stell dir vor, ich kaufe uns einen Hund. Nächste Woche fliege ich nach Griechenland und dort wartet eine Fanny auf mich» »Warum willst du denn deswegen bis nach Griechenland fliegen?«, antwortete meine Friseurin während sie emsig an meiner Sommerfrisur herumschnitt, »meine Freundin hat so eine Tierschutzstelle, wohnt direkt bei mir gegenüber«, erzählte sie weiter, »und die hat gerade soooo einen knuffigen Hund da« Ich nippte an meinem Kaffee und hörte ihr zu. »Du, und der hat so eine traurige Geschichte. Der war schon mal vermittelt und das Frauchen ist so sterbenskrank, dass sie im Hospiz liegt und ihr Sohn jetzt …«
»Waaaaas?« gluckse ich auf und verschütte den Kaffee, »sag jetzt nicht, dass der Lukas heißt!«
»Ja genau«, sagt sie, »ich habe gerade überlegt, aber woher weißt du?«
»Ja, also da habe ich eine Woche lang versucht, jemanden zu erreichen und niemand hat geantwortet. Das ist deine Freundin?«
Zwei Stunden später wühlten meine Hände durch schwarzbraunes Fell. Lukas fühlt sich an, wie ein Steifftier, ihm fehlte nur der Knopf im Ohr. Ein richtiger Handschmeichler. Ja, genau dich will ich, flüsterte ich ihm zu. Und ich spürte, wir gehören zusammen. Du bist der richtige Hund zur richtigen Zeit. Mein Herz hüpfte vor Freude. Und ich konnte wieder mal nicht fassen, welche Fäden das Leben so in der Hand hält. Das er später tatsächlich zum Lebensretter werden würde, ahnte ich zu dieser Zeit nicht.
Ich durfte ihn sofort mitnehmen zum Probetag. Am Abend war Familienessen beim Italiener geplant. Dazu durfte ich mein krankes Familienmitglied für zwei Stunden aus der Klinik abholen. Schließlich sollte Lukas dabei helfen, dass wir bald wieder alle zusammen sein könnten. Er lag friedlich unterm Tisch, kaute sein Schweinsohr. Und wir waren uns alle sofort einig, der darf bleiben.
Tja, was wird nun aus Fanny? Mein schlechtes Gewissen verschaffte mir Magenschmerzen. Nicht zu ändern, da muss ich jetzt durch. Ich rief an und gestand. Erzählte die Geschichte von Lukas und hoffte auf Verständnis. Dann bot ich meine Hilfe an. Als Wiedergutmachung. »Ja«, kommt es aus dem Hörer, »wir brauchen manchmal Pflegestellen. Wenn wir Hunde ausfliegen, die noch nicht vermittelt sind. Da ist es prima, wenn wir Leute haben, die sich der Hunde für ein paar Tage annehmen«
»Okay«, sagte ich, »da kannst du dich gern bei mir melden. Wenn ich das zu dem Zeitpunkt irgendwie regeln kann, sehr gern«
Sechs Wochen später sollte es soweit sein, dass ich mein Versprechen einlösen konnte. Aber das … ist eine andere Geschichte.
© Jo Lenz (2013)