Geschichte 8/30 | Schlagworte von @darklight_y
Meer * (Setting)
Dachs *
Mitternacht *
leben *
verlieben *
Grau *
879 Wörter = 14.898/ 50.000
***
Dachsperten
»Bei Tag haben wir den Wellen das Licht gestohlen. Wir sahen so lange gebannt auf das jadegrüne Meer, bis wir mit unseren Blicken alles Leuchten getrunken hatten, so dass nur Grau in Grau zurück blieb. Wir sprachen mit unseren Händen. Schnörkelloses Berühren. Wir hielten uns nicht lange mit einem Versehen auf, sondern bekannten uns zum Anfassen und Festhalten. Wollen. Wollen wir das wiederholen? Die Frage steht seit dem im Raum um uns. Du da. Ich hier. Und die einzige Verbindung ist dieser Dachs.
›Wie geht es ihm?‹, fragst du am Telefon.
Ich liege in der Hängematte. Von der Terrasse habe ich den Strand im Blick. Das Gatter ist ein Provisorium und stiehlt mir die Hälfte meiner Insel. Du fragst nicht, wie es mir geht. Entweder sorgst du dich wahrhaftig um das Tier, oder du willst bloß deine Bedürftigkeit damit verkleiden. Am Strand war es so einfach. Doch seit dem beginnt jeder Tag wie der Morgen danach. Wirklich jeder verdammte Tag.
›Er frisst nicht.‹
›Trinkt er wenigstens?‹
›Ich zwinge ihn.‹
›Vielleicht hätten wir…‹
›Nein, ich schaffe das auch ohne Tierarzt. Das wolltest du doch sagen, oder?‹, meine Gereiztheit hängt wie ein Häkeljäckchen an meinen Worten. Sie lässt Möglichkeiten offen, bei ausreichend Dehnung.
Es darf auch gut werden. Wir können der Sache Zeit geben. Das hast du gesagt, als wir irgendwann nach Mitternacht auseinandergingen. Da war das verschluckte Licht noch in uns, das Gemeinsame im Verschworenen. Weil wir um jeden Preis den Dachs retten wollten, mit dem, was wir konnten. Doch die Zeit frisst sich überall hindurch.
In meiner Kindheit konnte der Arzt nichts. Nicht mehr, als mich mit dem leeren Puppenwagen wieder nach Hause schieben zu lassen. Drei Kilometer. Das war viel für eine Achtjährige. Drei hin und drei zurück. Im Regen. Der Motorradfahrer, der auf dem nassen Kopfsteinpflaster gegen den Hund mit den Schlappohren gefahren war, interessierte sich einen Scheiß dafür. Auch für meine Tränen am Abend gab es nur ein, du hättest ihn sowieso nicht behalten können. Ich hatte hergegeben, was ich besaß. Den Mut, mich über ein Verbot hinwegzusetzen. Es war nicht genug. In den Nachbarort zu laufen. Mit dem Puppenwagen. Es war nicht genug. Mit einem Freund. Und mit dem blutenden Hund. War nicht genug. Dieser Arzt hatte Angst, dass ihm keiner die Rechnung bezahlt. Unter noch mehr Tränen habe ich gefleht, dass er ihn wenigstens von seinem Leiden erlöst. Ich hatte den Hund nicht gerettet.
›Ich bin kein Dachsexperte‹, unterbrichst du meinen Fluch.
›Dachsperte‹, flüstere ich und spüre der Überlegung nach, mich zu verlieben.
›Das auch nicht, ja‹, in deiner Stimme scheint nichts, dem sich nachspüren ließe. Hatte ich mich getäuscht?
›Du musst auch nicht anrufen. Also feel you free, meine ich.‹
›Er liegt dir am Herzen.‹
›Ich wollte mal einen Vogel retten. Hab die Nachbarschaft nach einem Käfig durchforstet. Darin lag er dann am nächsten Morgen und war tot.‹
›Ein Dachs ist kein Vogel. Der ist schon was zäher‹, mutmachst du. Ich verschweige den Hund.
›Meinen Großvater konnte ich auch nicht retten‹, sage ich stattdessen, ›ich konnte ihm nicht die Wahrheit über ihn sagen, weil es verboten war. Ich habe alles und jeden gehasst. Nach einem halben Jahr war er tot, ohne dass er wusste, wieso‹, er schweigt mich an. Denkt vermutlich, dass Tote nichts mehr wissen wollen, ›du hast ja keine Ahnung‹, sage ich. Er schweigt.
›Also wie ist dein Plan?‹, fragt er nach etwas Sicherheitsabstand.
›Abhängen‹, sage ich und gebe der Hängematte mit dem Fuß am Balken einen Schubs, ›Augenzufallera!‹, nun lacht er. Kein lautes Lachen. Ich kann mit meinem Gehörgang sehen, wie er den Mund verzieht.
›Na, dann komme ich wohl lieber nicht vorbei‹, pflanzt er in die Mitte und hält die Gießkanne für mich bereit. Aber diesmal schweige ich ihn an die Wand.
War das jetzt sein großer Auftritt? Sollte ich applaudieren mit Süßmädchenstimme? Was? Würdest du das etwa tun? Er weiß leider gar nicht, wie viel lieber ich kämpfe. Er macht es mir zu einfach. Jadegrüngrau. Wir in den Wellen. Sommernachtliebelei. Vorbei, denke ich und gebe ihm insgeheim noch Zeit, bis der Dachs wieder gesund ist.
›Wir leben nur einmal‹, verkantet er sich erneut in meine Gedanken, ›und in meinem Einmal will ich dich wiedersehen‹, damit schießt er den Vogel ab und beendet das Gespräch.
Ich möchte mich darüber echauffieren, dass es eine Unart ist, ein Gespräch einseitig zu beenden. Gebe mir allerdings gleich die passende Antwort. Es ist auch eine Unart, den anderen alleine im Gespräch hängen zu lassen, obwohl Mensch noch ganz Ohr ist. Um den inneren Dialog im Keim zu ersticken, stehe ich auf und laufe in die Dünen. Das Meer hat ein paar Meter weiter haushohe gestapelt. Mein Surfboard wird mir Wind auf die Ohren legen, wenn ich dort hinab fliege.
Sicherer fliegt es sich alleine. Meine Tante, die mir ihr Strandhaus vermacht hat, lebte diesen Spruch, bis sie einsam starb. Ich liebte alles an ihr. Auch das. Und ich entscheide in diesem Moment, dass ich den Dachs nicht zum Richter erklären werde. Ob er lebt oder stirbt, ich werde die Düne vorm Haus nicht teilen.
Shirt und Shorts landen im Sand. Das Wasser schlägt über mir zusammen. Ich umfasse meine Beine. Will untergehen. Das Salz hält mich in der Welt. Ich werde nie verstehen, wie sie es geschafft hat, aus ihr zu fliehen. Unterströmungen, die dir Halt nehmen und dich hineinziehen? An Tagen, die wilder sind, vielleicht. Aber heute und morgen muss ich den Dachs retten. Ein Leben lang? Vielleicht.«
