SPRUNG ZUR GESCHICHTE –> SCROLL DOWN!
Geschichte 1/30 | Schlagworte von @andijah
Wald * (Setting)
Dampfer *
Bügeleisen *
schrauben *
schleichen *
Türkis *
2.130 Wörter = 2.130/ 50.000
Pünktchen wendet mir den Rücken zu. Kleines schwarzes Etwas mit zwei spitzen Dreiecken auf dem Kopf. Sein Gesicht zur Wand gedreht. Unter dem kleinen Kater, der vor einer Woche mit einem kranken Auge vor meiner Tür saß, dekoriert künstliches Fell mein Bett. Letzte Nacht lag er auf dem Fell, obwohl ich darunter lag. Gut zugedeckt, denn die Nächte sind kalt. Bringen längst Raureif, den sie als weißen Hauch auch im Hellen noch auf den Wiesen liegen lassen, die mein Haus umgeben. Es ist ein kleines Haus. Eben das einer waschechten Hexe.
»Ich merke, dass du über mich schreibst«, Pünktchens Stimme klingt gnatzig, »unter Paragraph 42 der Katzengesetze steht aber, dass nur mit unserer vorherigen Erlaubnis über uns geschrieben werden darf.« Ich unterdrücke ein Lachen. Seine Stimme klingt Mitleid erregend und witzig gleichermaßen. Pünktchens Augenentzündung drückt so sehr auf seine Tränendrüsen, dass die Nase ständig verstopft ist, was in Intervallen zu sinfonieartigen Niesanfällen führt, weswegen ich ihn heimlich Hatschi getauft habe, obwohl er eigentlich Pierrot heißen soll. Aber das erläutere ich vielleicht später ausführlich. »Meine nasale Stimme ist kein Grund über mich zu spotten!«
»Ich spotte überhaupt nicht. Du tust mir eigentlich nur leid. Deine Familie friert draußen gemeinschaftlich in der Kälte, hat ständig Hunger und muss sich mit den anderen Streunern auseinandersetzen, die auch alle Hunger haben und ihre Reviere abstecken. Du armes Hascherl jedoch musst hier drinnen mit vollem Bauch in der Wärme liegen und meine Zaubersprüche aushalten. Nicht zu vergessen die Kräuterdüfte, mit denen ich dein Auge heilen werde, damit du auch als großer Kater noch aus beiden sehen kannst.«
»Ich bin schon ein großer Kater«, Pünktchen niest und klingt noch saurer.
»Ich meine das andere Groß«, meine Hände umschließen die geistreiche Kräuterteetasse. Ich höre den kleinen Kater mühsam atmen und schniefen, der so gar keine Ahnung davon hat, dass er eines Tages der perfekte Hexenkater sein wird. Wir werden viel Zeit brauchen. Ich werde viel Zeit brauchen. Das Vertrauen von Katzen lässt sich nicht herbei hexen. Ihn dazu zu bekommen, dass er mir treu den Nacken wärmt, auf meiner Schulter sitzt, wenn ich Tränke braue und das Wünschen nicht vergesse…, »du bist ein viertel Jahr, junger Mann, da geht noch was, glaub mir.« Pünktchen zieht die Nase hoch. Immer noch hat er mich keines Blickes gewürdigt. Hält das Gesicht konsequent zur Wand gedreht und atmet schwer. So schwer, wie kein kleines Wesen atmen sollte. »Was hältst du davon, wenn ich mir eine Geschichte für dich ausdenke. Ich erzähle sie. Wenn ich zu Ende erzählt habe, schau ich nach, ob ich Kolumbine noch einmal ins Haus gelockt bekomme. Das tat deinem Frohsinn gestern so gut. Freude ist neben ausreichend Schlaf wundervolle Medizin.«
Kolumbine ist die Schwester von Pünktchen, der ja eigentlich Pierrot heißt. Anders als ihr Bruder, ist sie keine geeignete Hexenkatze, weil sie überhaupt nichts Gefährliches ausstrahlt. Sie sieht mehr aus, wie eine Engelskatze. Oder die einer Fee. Ihr Gesicht ist weiß. Über den Augen sitzen rote und schwarze Flecken. Menschen würden über sie sagen, dass ihr lieber Blick zum Dahinschmelzen ist. Das nützt mir leider gar nichts. Auch wenn ich nicht bis auf die Knochen böse bin, muss ich das auf jeden Fall ausstrahlen. Sonst fangen mir diese Menschen irgendwann an aufs Dach zu steigen. Und welche Hexe will schon Menschen auf dem Dach? Marder, Mäuse, Katzen und Vögel lasse ich mir gefallen. Von mir aus auch Zwerge und Trolle auf der Flucht, die sich zu gerne im Schornstein verstecken. Aber Menschen?
In der Tanne vorm Haus hüpfen Spatzen von Zweig zu Zweig. Sie picken Beeren vom Wilden Wein. Putzen ihre Schnäbel an den verholzten Ranken. Ich stelle die Tasse ab und trete ans Fenster. Der Himmel zeigt sich in prächtigem Dunkelgrau. So richtig schön tieftraurig und schaurig schön. Unter der Tanne schleichen zwei getigerte Katzen um den Stamm. Recken ihre Köpfe empor. Vom Wipfel droht lauthals eine meiner Krähen, die den Katzen keinen einzigen Vogelfang gönnen.
»Na, dann erzähl doch!«, krächzt der Patient vom Bett und dreht leicht den Kopf.
Aha, denke ich, kaum geht meine Beachtung weg von dir…
»Bestimmt kennst du gar keine Geschichte, die mir gefällt.«
»Ich mache dir einen Vorschlag. Ich erzähle dir so lange täglich eine Geschichte, bis du entweder gesund bist, oder bis du zugibst, dass dir eine gefällt, hm?!«
»Aber bestimmt gefällt mir überhaupt niemals eine Geschichte«, antwortet er leidend und dreht sich dabei so in meine Richtung, dass ich die weißen Pfötchen sehen kann und das weiße Dreieck im Gesicht mit dem schwarzen Fleck neben der rosa Nase, dem er den Namen Pünktchen zu verdanken hat.
»Das glaube ich auch«, antworte ich und verkneife mir das Grinsen, »es wäre für eine Hexe auch wenig standesgemäß, wenn sie Geschichten erzählte, an denen irgend ein Wesen Gefallen findet.«
»Du hast doch eben selber gesagt, dass…«
»Psst!«, ich lege meinen knorrigsten Finger über die aufgesprungenen Lippen, »du musst nun still sein. Schließe die Augen und höre mir zu. Ich habe nämlich gerade eine hexorbitante Idee!«
»Vor vielen Jahren, als es noch genug Regen auf der Erde gab, trug es sich in einem verwunschenen tiefen Wald zu, dass sich Menschen darin verirrten. Das ist doch nichts Besonderes, wirst du denken, denn Menschen verirren sich doch andauernd. Mit ihrem ganzen Körper oder auch nur in ihrem Kopf. Ich gebe dir recht.«
»Ich habe gar nichts gesagt.«
»Psst! Du darfst nicht dazwischen reden, das ist Erzählgeschichtenzuhörgesetz!«
»Hatschi!«
***
Das Schnaback
»Vor vielen Jahren, als es noch genug Regen auf der Erde gab, trug es sich in einem verwunschenen tiefen Wald zu, dass sich Menschen darin verirrten. Das Besondere war, dass sie sich nicht zu Fuß verirrten, sondern auf eine Weise, die du dir nicht im Traum ausdenken kannst. Jener tiefe Wald jedenfalls umschloss Sumpfland, und das Sumpfland umschloss einen wunderbar tot anmutenden Waldsee. Die Stümpfe und Stämme der verstorbenen Bäume, von denen er umsäumt war, spiegelten sich in seiner Oberfläche, und wenn der Wind wehte, gaben sich die Geister, die in den hohlen Stämmen wohnten, zu erkennen. Sie ließen Äste und Zweige schaurig knarzend tanzen, und mit dem Wurzelwerk schmatzten und stampften sie, dass es jedem Zuschauer furchtbare Freude war. Zu jenem See führte ein Bachlauf, der frisches Wasser brachte, wodurch es leider nicht so schön stank, wie es hätte stinken können. Da die Quelle des Bachs sich im Menschenland befand, geschah es, dass in ihm hin und wieder sonderbare Dinge schwammen und für immer untergingen, sobald sie den kleinen See erreicht hatten. Und schon allein darum liebten die Waldbewohner ihr verstecktes Wunderwasser. Im Sommer schlossen sie Wetten darüber ab, was wohl als nächstes angetrieben käme und setzten Kopf und Kragen dafür ein. So manch einer von uns musste danach in einer umständlichen Prozedur seinen Kopf wieder auf den Rumpf schrauben. Zum Glück verlor ich niemals eine Wette. Mein Kopf hält bis heute wie angegossen und festgewachsen. Mag sein, dass es auch daran lag, dass ich jeden einen Kopf kürzer hexte, der etwas anderes zu behaupten versuchte. Nahezu täglich wechselte der See seine Farbe. Im sonnigen Frühjahr zum Beispiel, wenn der Himmel hässlich hellblau über den kahlen Zweigen drohte, färbte sich das Wasser erschreckend türkis. So türkis, dass jeder Waldbewohner mit einer Augenentzündung bestraft wurde, wenn er zu lange hinsah. Aus dem Grund trugen wir zu dieser Zeit vermehrt Sonnenbrillen, die der Bach uns aus dem Menschenland mitbrachte. Meine Lieblingsfarbe jedoch trug der Waldsee in den Herbstmonaten. Wenn der Himmel grau blieb, leuchtete er in Schlamm- und Modertönen, bis hin zum alles verschlingen wollenden Tiefschwarz. Genau an einem solchen Tag im November geschah das Unglaubliche. Ich saß alpverträumt am Ufer und genoss den talentlosen Tanz der Baumgeister, als sich etwas unfassbar Großes durch den Wald schob, umgeben vom Lied brechender Äste. Begleitet vom Gesang bersten wollenden Metalls. Noch bevor ich etwas sagen konnte, fasste mich, als ich aufgesprungen war, einer der Mini-Gnome, die nah beim See in Erdhöhlen lebten, bei der Hand. Schweigend blickten wir in die Richtung, aus der die dunkle Bedrohung auf dem Bachlauf daher geschwommen kam, sofern sich das noch Schwimmen nennen konnte. Der Boden unter uns bebte und schmatzte. Ich legte die freie Hand abwechselnd an mein Ohr und über meine Augen, um mich ganz auf die Geräusche konzentrieren zu können und auf das, was der Wald an Schwingungen übertrug. Die Gnomhand knetete aufgeregt meine Finger. Das Ungetüm kam näher und näher.
›Ist, ist, ist das etwa ein … Dampfer?‹
Ich nickte kommentarlos, um Schappatmung bemüht.
›Will, will, will denn einer von uns… verreisen?‹
Nun drückte ich die Hand des Gnoms, damit er endlich schwieg. Mein Kopf bemühte sich immer noch darum, zu verstehen, was meine Augen sahen. Ich zerfledderte gedanklich das Hexen-Alphabet, um geeignete Worte zu finden. Das Ungetüm indes schob sich weiter näher und näher an uns heran. Aus den umstürzenden Bäumen schossen Geister klagend gen Himmel. Ihr Leid blieb traurig und Wut geschwängert in der dichten Herbstbewölkung hängen, die sich bald in tosende Winde ergoss. Geheule über unseren Köpfen. Der Regen ließ nicht weiter auf sich warten und durchweichte uns in Sekunden. Doch das war egal. Nach dem hinter uns knackenden Unterholz brauchte ich mich nicht umzudrehen. Ich wusste auch so, dass von der kleinsten Maus bis zum größten Troll alle Bewohner zusammen gelaufen waren, um der Unglaublichkeit beizuwohnen. Auch der Regen hielt keinen davon ab. Wir schwiegen geschlossen. Wir verstanden uns auch so. Unsere nassen Gesichter richteten sich auf das, was da kam. Das ist das Wundervolle am Waldleben. Alles ist verbunden. Nichts bleibt verborgen. Naja, bis auf die Dinge am Grunde des Sees. Rosalie bewachte alles, was unsere Hände nicht vorm Versinken gerettet hatten, und niemand wollte sich mit der Drachendame anlegen, die als Teenager von ihrem Vater in die Mitte des Waldes verbannt worden war. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis auch sie auftauchte. Und wäre sie erst aufgetaucht, würde der Dampfer neben ihr ruckzuck zu einem Papierschiffchen geschrumpft sein. Der selbe Dampfer, der jetzt vor unser aller Augen zum Stehen kam, als hätten unsichtbare Hände ihn gestoppt. Der Gnom und ich, wir drückten nun abwechselnd unsere Hände. Die Spannung stieg ins Unermessliche. Wir hätten sie in Scheiben schneiden und Rosalie damit füttern können.
›Lasst mich durch!‹, Dädalus, der Troll, der seinen Namen der Vorliebe zu verdanken hatte, Steine zu Kunst zu stapeln und neue Worte zu erfinden, schob mich unsanft zur Seite, ›ich werde mir mal genau anmuckeln, was dieses Schnaback hier will. Schnickt euch alle zurück! Ich muckel das alleine.‹
Ich konnte mir das Augenrollen nicht verkneifen. Nur weil dieser Trollfleischberg Findlinge stapeln konnte, brauchte er sich nicht so wichtig zu nehmen, und der Wortquatsch, den er von sich gab, brauchte auch keine Hexe. Tatsächlich aber schwieg ich und setzte freiwillig noch zwei weitere Schritte, wodurch ich mich an einen Baum lehnen konnte. Liebevoll strich der mir mit Zweigen durchs Haar. Der kleine Gnom kicherte nervös. Ich hatte ihn unfreiwillig mit mir gezogen, da sich seine Hand vor Anstrengung in meine verkrampft hatte. Seine Augen rollten mit meinen mit. Nur taten sie dies wohl eher vor Aufregung und Sorge. Wir sahen dabei zu, wie Dädalus um den Dampfer schritt und wichtig, wichtig alles ganz genau beäugte. Angst kannte er nicht. Wovor auch. Alles, was in den von ihm so genannten Schnaback passen könnte, würde größenmäßig neben ihm verblassen. Das von Menschen gemachte Gebilde jedenfalls steckte im Sumpf fest und nichts an oder in ihm rührte sich. Allmählich hörte auch der Regen auf, und unser aller Anspannung löste sich.
›Ich hab’s!‹, sprach Dädalus, ›das Schnaback ist ein Bügeleisen‹, ein Raunen ging durch die Menge der zuschauenden Waldbewohner, ›ich habe davon in Büchern gelesen…‹
›Der kann gar nicht lesen‹, wisperte neben mir eine Maus.
›Psst!‹, wisperte ich zurück, ›lass ihn reden. Umso schneller ist er fertig.‹
›Mit einem Bügeleisen, können wir Bricklinge franzen.‹
›Der spinnt doch!‹, flüsterte nun der Mini-Gnom, ›Bricklinge kann man überhaupt nicht franzen.‹
Nun rollte ich erneut mit den Augen und zog meine Schrumpelhand enttäuscht aus der des Gnoms. Er schien ebenfalls nicht mehr alle Latten im Gefieder zu haben.
›Ich schlage vor‹, sprach Dädalus weiter, ›wir überlassen dieses Prachtstück Rosalie, denn was gut für Bricklinge ist, ist auch gut für Drachenschuppen. Sie werden kronzen und schnickeln, wenn Rosalie das Bügeleisen benutzt hat.‹
Alle riefen, ›Oh!‹, und, ›Ah!‹, und applaudierten mit schaurigem Lobgesang. Wieder einmal hätte der Troll bewiesen, dass er seinen Namen zu Recht trüge.
Ich seufzte, und als wolle sie mir beistehen, setzte sich eine Mäusefamilie kopfschüttelnd und ebenfalls seufzend auf meinen Schuh. Wir sahen uns an. ›Herrlich hässlich, Ihr Fußkleid, Frau Hexe‹, fiepte der Mäusevater. Geschmeichelt lächelte ich, und er setzte vor Freude eine paar Kegel darauf ab.
›Zuviel des Guten‹, schleuderte ich ihn samt seiner Nachkommen sanft ans Seeufer, wo sie eilig zwischen Schilf und Farnen verschwanden. Ich hörte noch so etwas wie, ›undankbar…‹, aber das war mir egal. Meine Alpträumerei hatte Platz machen müssen für ein riesiges Stück Schnaback, weil außer mir alle zu doof waren, um die Wahrheit zu erkennen. Menschen hatten ganz einfach mal wieder ihren Schrott im Wald entsorgt.«
