Am Montag verließ sie das Haus mit hängenden Schultern und den letzten zehn Euro in der Manteltasche. Der Schein hinterließ ein wärmendes Gefühl in der Hand. Ihr Magen knurrte. Peinlich berührt schlug sie unter dem geöffneten Fenster der Nachbarn den Kragen nach oben. Zwei Stunden später überfraß sie sich im Büro an Weihnachtsplätzchen.
Ihre Kolleginnen hatten in heimischen Mehlidyllen gebacken und reichten bunte Metalldosen und krümelnde Servietten herum. Sie verzog den Mund zu einem Lächeln. Artig nickte sie jede der rauschend vorgetragenen Geschichten über die – ach so große Freude mit Kindern – ab, während sie sich Bauch und Taschen mit Kipfeln, Zimtsternen, Spekulatius und Buntestreuselherzen vollstopfte. Mittags saß sie verkrampft auf dem Klo und flehte, jemand möge sie für immer von der Erde abholen.
Am Dienstag wirkte ihre Haltung noch gekrümmter. Die Scham über den Vortag drückte ihr Herz in den Magen. Die Busfahrt war beschwerlich. So viele Blicke, denen sie entgehen musste. So viele Berührungen, die ihr zuwider waren. Im Büro folgten keine besonderen Vorkommnisse. Nur das übliche Tuscheln. Niemand verteilte Süßes aus Metalldosen. Die Akten der anderen stapelten sich auf ihrem Tisch – sie konnte nicht Nein sagen.
Mittags stand sie am Ende der Kantinenschlange, weil sie ungern vor anderen herlief. Der Lackaffe vor ihr erhielt die letzte Portion Festtagsklöße. Sie wählte Salat, weil sie Angst vor den Folgen der Erbsensuppe hatte und suchte sich den Tisch in der Ecke. Neben der Klotür. Der Lackaffe schenkte ihr eine Brezel.
Am Mittwoch schlich sie nur noch. Senkbleie an den Füßen. Die Haare ungepflegt. Sie sah nicht vom Boden auf. Der Zehneuroschein klebte in ihrer Hand. Ihr Mantel altmodisch und verschmutzt. Tuscheln. Ablage. Kartoffelsalat ohne Wurst. Ecktisch. Keine Gespräche. Nur, Sie machen das ja. Eiseskälte im überheizten Großraumbüro. Als sie nach der Arbeit etwas abseits auf den Bus wartete, steckte ihr jemand zwanzig Cent in die Manteltasche.
Am Donnerstag blieben die Jalousien unten.
Am Freitag zog ein unangenehmer Geruch durch ihre Wohnungstür ins Haus.
***
Es war in jedem Jahr das Gleiche. In wirklich jedem. Im November begann sie sich zu verwandeln. Da ging nichts von der Hand. Da drückte das Leben mit Grau und Schwarz das Weiß aus ihren Augen. Es nahm ihr Seifen und Cremes. Die Kraft, eine Waschmaschine zu füllen. Und wenn sie dafür gereicht hatte, die Kraft, sie rechtzeitig zu leeren. Manchmal musste sie die selbe Wäsche fünf Mal waschen, weil nach ein paar Tagen der feuchte Klumpen in der Maschine stank. Stank, wie sie sich Leichengestank vorstellte. Die Wohnung wurde ein Grab. Für Leere Flaschen. Kartons. Zeitungen, die sich immer wieder durch den Briefschlitz schoben – Bitte keine Werbung! – manchmal las sie die Beilagen trotzdem, bevor sie auf den Stapel kamen. Auf der Suche nach Glück. Fand sie billige Angebote, holte sie mit einem Rollkoffer ihre Träume ab. Glasklare Träume in glasklaren Flaschen. Danach umgab sie Leichengestank und ein Rausch voller Geister.
Ein Brief liegt zwischen den Flyern. Unbekannter Empfänger. Wohl irgendjemand aus dem Haus. Wer kennt sich hier schon? Ziehen ja andauernd Leute ein und aus. Sie wirft die Werbung auf den Zeitungsstapel und legt den Umschlag auf die Waschmaschine. Danach hockt sie sich davor, um das Programm zu wählen. Diesmal würde sie die Wäsche sofort im Anschluss aufhängen. Ihre Kehle kratzt trocken. Drei Flaschen Angebot stehen noch auf dem Tisch. Gerade hat der Dezember angefangen. Bis März musste sie durchhalten in ihrem Grab. Wenn sie durchhalten wollte. Das war manchmal so die Frage.
Lass doch den Deckel über Nacht runtergehen … kannst ja dafür einen anderen länger leben lassen, der unbedingt will. Mach mal, du da oben, mach!
Der machte natürlich andere Sachen. Nahm dem alten Lehmann die Frau viel zu früh. Dem von der Kiezinsel, älteste Kneipe hier ums Eck. Oder der Schneidern überfuhr er den alten Dackel. Das war eine riesige Sauerei, obwohl es bloß Sachbeschädigung hieß. Hat geheult tagelang. Das musste einem beinahe das Herz zerschlagen.
Sie richtet sich auf, greift nach einer der Flaschen. Gießt sich einen Schluck ins Glas. Nimmt immer dasselbe Glas. Das spart Abwasch. Hintergekippt. Heißes Brennen in der Kehle.
Im Treppenhaus brüllt die Mutter von Gegenüber ihr Kind an. Das brüllt zurück. Aber das versteht man nicht. Kein trotziges Brüllen. Eher so Verzweiflung wie, ich will aber nicht in den Kindergarten, oder ich wollte überhaupt nicht aufstehen, oder, es ist so kalt. Das Geschrei der Mutternachbarin macht sie wütend.
Als Kind hatte man sie auch so angebrüllt. So, und noch viel mehr. Was Gutes war selten gekommen. Selbst, wenn sie sich anstrengt, fällt ihr nicht ein, dass irgendetwas mal richtig gut war, was sie gemacht hatte. Lob oder Stolz? Nee. Stattdessen. Keine Diskussion! Brüllen. Latschen auf’n Hintern. Ab ins Zimmer! Weinen, was kein Weinen mehr war. Ein hustendes Schluchzen, das den Körper durchschüttelt. Den Kopf hin und her knallt. Das Herz aus dem Mund fliegen lässt, wenn man nicht aufpasst. Wenn man nicht schnell dem Teddy ins Ohr beißt, damit das Herz drinnen bleibt, springt es raus und verschwindet für immer.
Am Ende von – keine Diskussion! – blieben die Fusseln auf der Zunge und pechschwarze Angst, jemals das Zimmer wieder zu verlassen. Kaltes Draußen, so ohne Liebe und mit dem Gefühl, niemals richtig zu sein.
Kinder sollte man loben. Kindern sollte man Danke! sagen. Weil man doch durch sie noch mal mit Kinderaugen alles sehen kann, wenn man will. Man kann doch mit ihnen auf der Erde herumrutschen und mit den Fingerspitzen Käfer umschubsen. Behutsam. Und wenn sie auf dem Rücken liegen, die sechs Beinchen zählen. Ob auch alle noch da sind. Und sich dann darüber freuen, dass zwei große Käfer auch Käferkinder haben, denen sie die Welt zeigen. Geht auch mit Schnecken. Sie hat als Kind Schneckenfamilien gesammelt, so viele wie auf ihre Hand passten. Auch dafür gab’s Wut. Weil die Hand dann voller Schleim war und auch an den Sachen war Schleim und das musste schließlich wieder gewaschen werden.
Sie schließt die Tür zum Korridor. Das Geschimpfe ist unerträglich. Einen zweiten Schluck ins Glas gekippt. Dankbares Brennen in der Brust, für den Kopf. Sie sieht kurz auf die drehende Wäsche, dann fällt ihr Blick auf den Umschlag, und sie hievt sich neben ihm auf die Maschine. Das Summen am Hintern ist vertraut. Leichtes Schaukeln mit Pausen dazwischen. Noch einmal liest sie die Anschrift: UNBEKANNTER EMPFÄNGER steht da. Mehr nicht. In geschwungener feiner Handschrift.
Was soll das denn sein? Unbekannter Empfänger? Da kann jeder … wieso lag der bei ihr?
Im Hausflur ist es still. Sie rutscht langsam auf den Boden zurück und geht zum Fenster. Den Umschlag in der Hand, kippt sie es an. Süßlicher Duft nach Gras zieht herein. Sie lugt nach links. Der Junge von nebenan sitzt wieder auf dem Balkon und pafft in den Hinterhof. Ihr soll das egal sein. Es gibt Schlimmeres, denkt sie, und mit Blick auf den Klaren schämt sie sich ein wenig. Sie hört ja rechtzeitig wieder auf damit. Es ist doch nur wegen der Kälte.
Sie ist froh, dass der Junge keinen Anpfiff kriegen wird. Keine Wut, denn die Eltern sind nie da. Noch mehr Gebrülle hielte sie heute nicht aus. Das sind bestimmt solche Karriereleute. Unerklärlich, warum die in diesem Block wohnen. Absolut unerklärlich. Der Junge hebt die Hand zum Gruß. Sie nickt erstaunt. Verkneift sich ein Lächeln und sieht verlegen auf den Umschlag. Sie dreht ihn ein paarmal. Fährt mit dem Finger dem Dreieck auf der Rückseite nach, mit der er verschlossen ist. Kein Absender. Kein Siegelzeichen in der Mitte, so wie sie Briefe markiert hatte in ihrer Jugend.
Sogar Siegellack hatte sie besessen und einen Prägestempel. Jeden Tag war sie zum Briefkasten geflitzt nach der Schule und manchmal hatte sie zwei oder drei Umschläge herausgeholt. Danach war sie in ihrem Zimmer verschwunden. War stundenlang beschäftigt, die enthaltenen Seiten mehrmals drehend, wendend und lesend. Manche enthielten Fotos. Oder einen Streifen Kaugummi, benutzte Kinoeintrittskarten. Die Briefe kamen von der Ostsee, vom Chiemsee, aus der Tschechowslowakai, aus Russland, aus Namibia. Ghana war dabei und Vietnam.
Danach wählte sie aus dem Karton unterm Bett zwischen den vielen Sorten Briefpapier die Antwortseiten heraus. Worte, die sehr weit reisen mussten, kamen auf Luftpostpapier. Das waren diese hauchdünnen himmelblauen Seiten, durch die man sehen konnte.
Andere Gedanken kamen auf rotes Papier mit Herzen. Oder weißes mit Blumen. Oder einfach nur auf liniertes und kariertes, herausgerissen aus Schulheften, wenn sie ganz viel zu schreiben hatte.
Der Umschlag ist nicht reinweiß, wirkt edel. Liegt gut in der Hand. Der Junge pafft immer noch. Sie schiebt den kleinen Finger in die offene Stelle unter dem Rand. Er passt genau hinein. Sie könnte jetzt mit einem Ruck … genau wie früher. Aber wenn sie sich ungeschickt anstellte, würde der halbe Umschlag mit zerreißen. Mindestens aber würde es hässliche Zackenränder geben, die wie ein Raubtiergebiss nach oben stünden. Soll sie ihn vielleicht über Wasserdampf? Der Junge lehnt sich weit übers Geländer, so als wolle er in ihr Küchenfenster sehen. Hat die Kapuze hochgezogen. Die Schultern nach vorn zusammen. Dem muss doch kalt sein. Vielleicht steht ja drinnen, für wen der Brief eigentlich ist. Vielleicht ist er ja für den Jungen. Von einem verliebten Mädchen vielleicht. Sie sieht ihn an.
»Alles okay bei dir?«, ruft er plötzlich und grinst. Große leuchtende Zähne. Das Menschen solche Zähne haben können? Sie reibt instinktiv mit ihrer Zunge über die eigenen. Dann zuckt sie die Schultern.
»Hast du was zu essen da?«, ruft er wieder, »ich habe Bärenhunger.«
Irgendwo knallt ein Fenster zu. Der Hall schlägt über den Innenhof. Sie überlegt. Ein paar Nudeln könnte sie ihm kochen. Aber wie kommt er überhaupt darauf? Schweigend öffnet sie das Fenster ganz. Sie sieht ihn die Kippe wegschnippen, über die Brüstung klettern und hinunterspringen. Er latscht über die abgeblühten Sommerreste am Boden – irgendjemand aus dem Haus bemüht sich um etwas Grün im Innenhof, doch der ist dunkel, kaum größer als die größte Wohnung im Haus, und voller Fahrräder – und steht, immer noch grinsend, vor ihrem Fenster.
»Darf ich reinklettern?«
Sie macht einen Schritt zur Seite.
»Uuh, was müffelt hier denn so?«
Sie zeigt auf die Mülltüten, die sich in der Ecke stapeln.
»Kannst du nicht sprechen?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Soll ich sie für dich wegbringen? Und du machst mir was zu essen in der Zeit?«
Sie nickt verdutzt und schiebt sich eine Strähne hinters Ohr. Hätte sie gewusst, dass sie Besuch bekommt, hätte sie sich die Haare gewaschen. Da sie aber niemals Besuch bekommt …
Der Junge greift die Tüten. Eine steht schon so lange, dass sie löchrig ist und Flüssigkeit austritt. Es stinkt schlimmer als vergessene Wäsche.
»Iiiihgitt! Bist du krank, oder wieso sammelst du das hier?«, er zieht eine neue Tüte aus dem Korb, der daneben steht und in dem der Supermarkt an der Ecke mehrfach zerknüllt vertreten ist und stülpt sie über die kaputte.
Sie zuckt mit den Schultern. Dreht sich zum Küchenschrank und holt die Packung Nudeln heraus. Daneben stellt sie eine Tüte Zucker. Anschließend legt sie den Haustürschlüssel in seine Hand und sieht ihn fragend an.
»Okay. Ich hab’s ja vorgeschlagen. Ich bringe die Dreckstüten jetzt in den Müll und dann gucken wir, was hier abgeht.«
Als er draußen ist, versteckt sie die drei Flaschen und setzt einen Topf mit Wasser auf. Danach geht sie ins Bad und sieht in den Spiegel. Sie wäscht ihr Gesicht, wickelt die Haare zu einem Knoten und steckt ihn fest. Anschließend kontrolliert sie ihre Zähne, wo bleibt er so lange, und greift sich die Zahnbürste.
Das Geräusch des Schlüssels in der Tür lässt sie aufhorchen.
»Ich bin wieder da. Das ist ja vielleicht ein Akt, dass man bei euch aus einem Hauseingang raus und in den anderen wieder rein muss, um seinen Müll loszuwerden. Ich habe das ja schon ein paar Mal beobachtet. Aber seltsam ist es schon.«
Ein letzter prüfender Blick, dann betritt sie den Korridor, lächelt ihn entschuldigend an und winkt ihn mit sich in die Küche. Auf den Tisch stellt sie ein Glas Leitungswasser und gibt ihm zu verstehen, dass er sich setzen soll.
»Soll ich die Nudeln ins Wasser machen und du setzt dich hin?«
Sie zuckt die Schultern, nickt jedoch, und schiebt sich auf den Stuhl, der so hoch ist, dass ihre Beine in der Luft hängen. Sie mag das Gefühl. Es birgt Erinnerung. Sie zeigt auf das Salz über dem Herd.
Als er sich zu ihr zurück gesetzt hat, schiebt sie ihm den Umschlag zu, tippt nachdrücklich auf die Schrift, und sieht in fragend an.
»Was ist das?«
Schulterzucken.
»Hast du den geschrieben?«
Kopfschütteln.
»Bekommen? Mit der Post?«
Nicken.
»Da ist ja nicht mal eine Briefmarke drauf?!«
Nicken.
»Und du weißt nicht, von wem der ist? Kennst du die Schrift?«
Kopfschütteln.
»Und jetzt?«
Schulterzucken.
»Willst du, dass ich ihn öffne?«
Schulterzucken … Nicken. Sie dreht sich zum Topf, in dem die Nudeln kochen und zeigt dorthin.
»Was meinst du?«
Lächelnd nimmt sie ihm den Umschlag aus der Hand und lässt sich vom Stuhl rutschen. Am Herd hält sie die Rückseite in den aufsteigenden Wasserdampf. Das Papier wird wellig und feucht. Nach einer Weile schiebt sie vorsichtig einen Fingernagel unter die Spitze des Dreiecksverschlusses und löst die Klebeflächen voneinander. Geschafft. Der Brief ist offen. Sie geht zurück an den Tisch.
»Wow! Coole Sache. Wie im Krimi. Was steht drin?«
Gemeinsam sehen sie hinein.
***
Am Montag verließ sie lächelnd das Haus. Sie hatte ihren alten Lieblingshut heraus gesucht und die Haare darunter zu einem Knoten hochgesteckt. Der Mantel wirkte frisch. Auf ihrem Gesicht lag vorweihnachtliche Farbe. Sie nickte dem Busfahrer freundlich zu, lief ganz bis zum Ende und setzte sich in die allerletzte Reihe. Der Reihe, die zu Schulzeiten immer den Lauten aus der Klasse vorbehalten war. Nun saß sie dort, obwohl sie ganz schrecklich leise war.
Der Junge und sie hatten in dem Umschlag nur einen winzigen Zettel gefunden, auf dem in der selben feinen Schrift des Umschlags nur ein einziges Wort stand: FREUNDE
Sie hatten sich fragend angesehen und begonnen, sich über das Wort zu unterhalten. Überlegt, wer der Absender sein würde und was er sich dabei gedacht hatte und ob überhaupt der Brief bei dem richtigen unbekannten Empfänger gelandet war.
Dabei aßen sie die gezuckerten Nudeln und der Junge erzählte ihr von seinen Eltern, denen ihre Arbeit und ihr Aussehen am Wichtigsten waren, die kaum Zeit für ihn hatten und ihm darum alle Wünsche erfüllten. Wie er seine Zeit mit Gitarrespielen und Musikhören verbrachte, wie er davon träumte, einmal in einer berühmten Rockband zu spielen. Er sprach von den Leuten in der Klasse, die seinen Dialekt nicht mochten, davon, dass die Stadt ihm fremd sei und er sich häufig einsam fühle.
Sie verstand jedes Wort. Freute sich, seiner Stimme zu lauschen, freute sich über das Flackern in seinen Augen, sobald er über Musik sprach.
Am nächsten Tag trafen sie sich wieder. Sie zeigte ihren Lieblingsplatz im Park, an dem sie im Sommer Bücher las und den Kaninchen zusah. Sie zeigte den Eingang zum alten Flugplatz. Sie sahen den Drachensteigern zu und der Sonne beim Untergehen. Für fünf Euro kauften sie Falafel und einen heißen Tee. Sie war bemüht, den unsicheren Blick auf das übrig gebliebene Geld zu verbergen.
Das mit dem Leisesein hatte sie begonnen, als sie Anfang zwanzig war. Sie hatte das Sprechen von einem auf den anderen Tag aufgegeben. Sie fühlte sich so oft unverstanden und hatte sich viel zu häufig zum Gespött gemacht, wenn sie vor Aufregung ins Stottern geraten war. Leisesein schafft Ruhe. Die Menschen gewöhnen sich daran. Manchmal zu sehr. Aber irgendwann war der Zeitpunkt an ihr vorbeigerauscht, an dem sie ihre Entscheidung hätte rückgängig machen können.
Als sie das Büro betrat, hatte sie den Eindruck, die anderen sähen sie anders an als sonst. Oh, ja natürlich, sie hatte ja zwei Tage gefehlt. Kein Problem, ihr Arzt würde sie krankschreiben. Sie lächelte unsicher. Er kennt ihre Phasen, in denen sie das braucht.
Trotzdem erschien es ihr merkwürdig. Die Blicke hingen an ihr fest, bis sie ihren Tisch erreichte. Als sie ihre Jacke über den Stuhl hing, registrierte sie die Augenpaare über den Stellwänden ihres Arbeitsplatzes. Auch der Lackaffe stand dabei. Sie fühlte, wie Hitze in ihr aufstieg. Dann endlich begriff sie, was ihre Kollegen anlockte. Vor ihr auf dem Tisch stand ein riesiger Weihnachtsstrauß aus Tannengrün, roten Schleifen und aufgespießten Pfefferkuchen. Vor der Vase lehnte ein Brief. Kein reines Weiß. Edel. Mit feiner geschwungener Schrift stand darauf: AN EINE FREUNDIN
Sie griff nach dem Brieföffner, alle anderen um sie herum waren vergessen, und riss den Umschlag mit einem Ratsch auf. Vergessen waren Raubtierzähne. Dann langte sie behutsam und vor Aufregung zitternd hinein, ihre Zunge formte stumm Fröhliche Weihnachten … fünf Euro steckten darin und ein kleiner Zettel, auf dem nur ein einziges Wort stand: DANKE
Romantisch! Nóch eins bitte 🙂
Vielen Dank! Etwas Auswahl ist ja auf der Seite 😉
wow, konnte nicht aufhören zu lesen, sehr schön. 🙂 LG
Dankeschön 🙂