Der Park lag unter den U-Bahn-Gleisen. An dieser Stelle durchschnitten sie das Tageslicht. Eine U-Bahn, die während ihrer Fahrt eine Metamorphose zur Überlandbahn durchlebt, trotzdem gelb bleibt und in ihrem Wesen unterirdisch, dröhnte in regelmäßigen Abständen über unsere Köpfe hinweg. Wenn sie fuhr, ebbte das gleichmäßige Tok – tok zwischen den Schlägern und der Steinplatte ab.
Seit zwei Wochen trainierte der junge Mann seine Mitbewohnerin im Tischtennis. Ihre anfängliche Unfähigkeit, allein bei der Angabe den Ball zu treffen, hatte sich weiterentwickelt. Aufschläge meisterte sie mit Bravour, und er zeigte sich stolz auf seine Fähigkeiten als Trainer. Jeden Tag tauchten die beiden zur gleichen Uhrzeit an immer derselben Platte auf, zogen die Tischtennisschläger aus den ledernen Bezügen, steckten sich Ersatzbälle in die Hosentaschen und stellten sich wie Kampfhähne gegenüber.
Mich hatten sie nie beachtet, wie ich nah der Büsche meine Bücher las, und so war es mir ein Leichtes, ihre Regungen und Gespräche, die Wucht der Schläge und die schadenfrohen Siegeszüge des jungen Mannes miteinander ins Verhältnis zu setzen, um für mich logische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Bald glaubte ich zu erkennen, dass es eine zwischenmenschliche Verwicklung über die Mitbewohnerschaft hinaus geben musste, ja sogar, dass letztendlich sie diejenige war, die nicht nur ihre eigenen Hosen trug. So schien also das ungnädige Zurückschmettern der Bälle sein trauriger Versuch, die häusliche Unterwürfigkeit zu kompensieren. Mit Erfolg, wie ich bedauernd feststellte.
Die anfängliche Euphorie der jungen Frau, dass sie eine Sportart lernen würde, mag sie es auch mehr als ein Spiel betrachtet haben, war nach und nach Wut und Resignation gewichen. Der Kampfgeist sah ihr verbissen aus dem Gesicht, und jeder erneute Sieg des Mannes nahm ein Stück ihres Leuchtens.
Er hingegen blühte auf. Zwei Stunden jeden Tag.
Irgendwann bekommst du die Bälle, kommentierte er seine gepfefferten Schläge. Sie zählte ihm blaue Flecken vor.
Gestern, ich saß wie üblich auf meinem Platz, hatte sich ein weiterer Herr eingefunden. Ich schätzte ihn auf ungefähr achtzig Jahre. Seine Kleidung war altmodisch und die Vermutung lag nahe dass er ein Freigänger der angrenzenden neurologischen Klinik war. Wir nickten uns zu, hoben unsere Hüte und während ich darauf in mein Buch sah, übernahm er die Beobachtung dessen, was sich zwischen den beiden Hitzköpfen an der Steinplatte abspielte. Anders als ich, saß er in der Nähe der minimalistischen Arena menschlichen Machtkampfes und wurde von ihnen bemerkt.
Er machte keine Anstalten ihrer Beachtung zu entgehen. Im Gegenteil. Er zuckte immerfort mit einer Hand mit. Jubelte bei jedem guten Schlag. Hob freudig den Hut, als dem Mädchen ein Sieg gelang. Ein Sieg? Das ließ auch mich aufhorchen, denn gewonnen hatte sie bisher nie.
Wie zu erwarten, erfand das männliche Ego allerlei Gründe, wieso es diesen Satz nun verloren hatte. Die Sonne hätte tief gestanden. Und erst der Wind. Ein leichter Schmerz am Handballen …
»Oh, der Sieg war sehr verdient, gnädiges Fräulein«, mischte der Herr sich mit wackelndem Kopf ein, »lassen Sie sich das nicht ausreden. Sie haben Geschick, gnädiges Fräulein, jawohl, das haben Sie.«
»Dankeschön«, mehr gelang ihr nicht darauf zu antworten. Ihr Lachen erreichte die Ohren. Ihre und unsere. Ja, selbst mein Herz schlug auf Empfang.
»Kennen Sie sich aus mit Tischtennis?«, fragte der junge Mann, um Gleichgültigkeit bemüht, »Wollen Sie mal mit meiner Freundin spielen? Sie ist bestimmt froh, mal einen passenderen Gegner zu haben.« Wohlwollen stand in seinem Gesicht geschrieben, sehr nah an Überheblichkeit.
Ich war näher gekommen, nickte den Anwesenden zu und setzte mich auf besagte Bank. Ich wollte das sich anbahnende Schauspiel aus der Nähe bewundern. Nicht oft werde ich Zeuge davon, dass die Jugend sich der Alten annimmt und war nun gespannt, was sich daraus ergab. Ich nahm einen Blickwechsel zwischen dem Alten und der jungen Frau wahr.
Er hatte sich hingestellt und wirkte so nah dran auf mich, wie ein modernes Rumpelstilzchen.
»Na ja«, sprach der Alte kichernd, »zum Aufwärmen kann es mir gleich sein, gegen wen ich spiele«, dann nahm er die Kelle des jungen Mannes, stellte sich an die Platte und wartete gespannt.
»Soll ich einfach anfangen oder einwerfen?«, fragte sie und lächelte.
»Fangen Sie doch bitte einfach an!«, antwortete er und stellte sich in Position. Sein Kopf wackelte immerfort und seine Augen blitzten.
Die junge Frau setzte ihre Angabe unbeholfen. Der Ball kam nicht über das Netz.
»Wiederholung«, sagte sie und wurde rot.
Der nächste Ball kam höher, verfehlte jedoch die Ecke der Platte und flog darüber hinaus. Der Ball verschwand im Gras. Der Alte drehte sich um zu dem jungen Mann, »wären Sie wohl so freundlich, mir den Ball zu holen? Meine Knochen wollen nicht mehr so recht.«
»Ich habe noch einen«, rief sie ihm zu und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Alle Augen ruhten auf ihr und dem Ball in ihrer Hand, der grell orange leuchtete.
Wieder ging der nächste Schlag ins Netz.
»Ich gebe auf«, sagte sie und legte den Schläger auf den Tisch, »mach du für mich weiter!«, dann setzte sie sich zu mir auf die Bank, holte sich eine Wasserflasche aus dem Rucksack und nahm einen großen Schluck. Fast schien es mir, als würde sie damit mehr als nur den Durst löschen wollen. Wäre es nicht unschicklich, hätte ich ihr den Schenkel getätschelt und ihr gesagt, sie solle nicht traurig sein, aber ich wollte keinen Aufschrei heraufbeschwören.
Wir saßen nun zu zweit nebeneinander und schenkten unsere Aufmerksamkeit den beiden Herren. Der junge Mann erschien fast doppelt so groß wie der Alte, wirkte peinlich berührt über die zittrige Erscheinung ihm gegenüber, die sich die Lippen leckte, den Schläger fest in der Hand hielt und die Augen nicht von den Händen seines Gegenübers ließ.
Der Aufschlag saß. Der Alte reagierte flink. Erwischte den Ball, traf sein Gegenüber kurz vor dem Ende der Platte, unvorbereitet zwischen den Beinen. Für diesen unmöglich, den Ball noch anzunehmen, da er viel zu nah an der Platte stand. Er bewegte die Kelle noch nach unten, traf die Platte. Der Ball trudelte aus.
»Den haben Sie toll angenommen. Gratulation!«, sagte er anerkennend und verwundert zugleich.
Der Alte lachte verschmitzt, »ich bin dran. Haben Sie einen Ball für mich?«
Die junge Frau sprang grinsend auf, »hier«, sagte sie, »ich mache den Balljungen für Sie.«
»Wunderbar, Gnädigste, wunderbar!«
Ich fand nicht heraus, was es war. Dazu fehlt mir die Kenntnis, was diesen Sport angeht. Aber in den folgenden Minuten ließ dieser zitternde alte Mann, dem das Kreuz zu weh tat, um die Bälle zu holen und aufzuheben, und dem man – auch ich – kaum den Weg vom und zum Irrenhaus zugetraut hätte, den jungen Mann auf der anderen Seite wahrhaft alt aussehen. Er schnitt bei den Angaben die Bälle in einer Art und Weise an, dass sie sowohl geschmettert, als auch nur ganz knapp hinter dem Netz aufkamen, ein andermal die Ecke des Gegenfeldes berührten und wieder zurücksprangen, so rasant zurücksprangen, dass sie nicht zu erwischen waren.
Er hob jubelnd die Kelle, zog bei jedem Punkt seinen Hut, lachte verschmitzt und spielte wie der Teufel persönlich. Und es machte mir eine derartige Freude, dem Manne zuzusehen, dass ich nicht mehr sagen kann, wie oft die U-Bahn an diesem Tage über unsere Köpfe hinweg dröhnte und das ungleichmäßige Tok – tok zwischen den Schlägern und der Steinplatte abebben ließ.