glück ohne glühwein


Ich spüre meine Hände kaum. Wenn ich sie warm hauche, steigt mir Hundegeruch in die Nase. Da hätte ich Mademoiselle von Chanel auch in der Flasche lassen können, denke ich und muss grinsen. Noch zwölf Minuten, dann kommt der Bus, der mich zurück nach Hause fährt. Und das, obwohl ich doch gerade jetzt meine Hände an einer Glühweintasse hätte wärmen wollen. Hätte. Wenn die letzte Stunde nicht so verlaufen wäre, wie sie es ist. Ich grinse immer noch und schüttle ungläubig den Kopf. Das war doch wieder so ein klassischer Fall für »Ich glaube nicht an Zufälle.«

***

Vor zwei Tagen verabredete ich mich für heute 19:00 Uhr am Wittenbergplatz. Ein Mr. Pete hatte mich über eine Datingplattform angeschrieben, er wäre in der Stadt und er hätte Donnerstag Zeit, und man könnte doch mal auf einen Glühwein … und zum Quatschen.Nachdem ich abgeklopft hatte, wie fixiert er ist oder eben nicht, ließ ich mich darauf ein. Schließlich hatte ich noch keinen in diesem Jahr – Glühwein meine ich. Dazu muss ich sagen, ich nutze dieses Portal, wenn ich irgendwo neu in der Stadt bin, um mich spontan auf einen Drink zu verabreden, oder einen Spaziergang, oder einfach um Leute mit selben Interessen zu finden. Tatsächlich habe ich schon einige gute Bekanntschaften darüber schließen können. Der größte Teil der Herren jedoch fragt überwiegend an: »Was suchst du denn hier, wenn du verheiratet bist?« Diese Frage klingt für mich immer ein bisschen so, als würde das Leben im Außenverhältnis aufhören müssen, sobald man vor dem Standesamt »Ja« gehaucht hat. Was die Herren aber tatsächlich im Hinterkopf haben, sind wohl schnelle Nummern für umme. Ich verweise dann gerne an Damen, die es im Haupt- oder Nebengewerbe treiben. Ich habe einfach keine Lust auf Gespräche oder Treffen, wo ich im Vorfeld weiß, mein Gegenüber lotet ständig sabbernd aus, wie stark oder schwach meine Mitte frequentiert ist.
Also gut, 17:00 Uhr erhielt ich die Frage von Mr. Pete, ob es bei 19:00 Uhr bliebe. Ich dann zurück, ohjee, ich weiß nicht genau, kann sein, dass ich doch erst später kann … Termine und mein Wunsch, den Abend wie üblich mit meiner Tochter zu verbringen. Dann um 18:00 Uhr doch eher als gedacht, alles erledigt. Kind muss sowieso auch noch mal weg. Ich texte also schnell, dass ich zur abgesprochenen Uhrzeit könnte. Gut, schrieb er zurück, dann würde er jetzt doch nicht in die Hotelsauna und er würde mich am Bus abholen. Ich schrieb ihm, mit welchem ich ankäme und wo der halten würde.
Soweit so gut. Sechs Stationen mit dem Bus. Endlich mal eine Auszeit vom Schreibtisch. Lust auf heiße Weihnachtsdrinks und Atmosphäre. Aussteigen. Ja, da stand ich nun und niemand war da, der aussehen würde, als wolle er mich abholen. Ich sah auf mein Handy. Mr. Pete fragte an, ob ich schon da wäre und wo denn der Bus hielte.
Er wäre 100 Meter vor dem KDW. Ich fragte nicht aus welcher Richtung betrachtet, aber da ich noch 400 Meter vom Wittenbergplatz entfernt war, schlug ich vor, ich käme dorthin gelaufen. Also neuer Treffpunkt – Eingang zum KDW.
Immer noch gut gelaunt, lief ich also den Lichtern entgegen. Ich brauche immer etwas länger als die anderen, da ich bei rot artig stehen bleibe. Das ist so in mir. Ich komme nicht dagegen an. Also, erste Ampel. Zweite Ampel. Dritte. Dann noch am Park vorbei, ließ ich meinen Blick schon leicht schwenken, um den Mr. Pete zu entdecken, den ich nur von einem nichts sagenden Profilbild her »kannte«. Wobei Profil auch Profil meint, also Augen, die ich ja am besten wieder erkennen würde, kannte ich nicht, dafür die Nase von der Seite.
Mit so einer Nase kommt man nicht weit, wie ich vor der Eingangstür feststellen musste. Da war niemand. Niemand, der aussah, als würde er mich treffen wollen. Na ja, dachte ich, komisch. Wie viele Eingänge hat das Ding? Stehe ich am falschen? Bin da, schrieb ich also kurz und sah weiter gespannt in die wenigen Gesichter, die an mir vorüber liefen. Keine Reaktion. Ich sah mir das eine Schaufenster an. Dann das andere. Den Eingang im Blick. Wieder das Handy. Keine Antwort.
Plötzlich fielen mir Geschichten ein von Blind Dates. Wo der eine sich in Warteposition bringt und den anderen beobachtet, und dann wieder abhaut, weil die blinde Verabredung vielleicht doch nicht der Vorstellung entspricht. Sollte mich das treffen? Hätte ich doch nicht die Jeans mit den Löchern anziehen sollen? Ist der rote Schal affig? Oder mein bunter Mantel? Sitzen die Haare schlecht? Reicht meine Erscheinung tatsächlich nicht für einen Glühwein aus? Das muss ja dann ein echt anspruchsvoller Typ sein, dachte ich. Jedenfalls war das die einzige Erklärung die mir einfiel. Ich zog mein Handy heraus und fing an zu tippen.
Als ich die ersten Buchstaben erfasst hatte, kam von rechts ein Mann auf mich zu. Also nicht direkt auf mich. Viel mehr lief er dem Halsband seines Hundes nach, weil er den Karabiner der blauen Leine, die er in seiner Hand hielt daran befestigen wollte. Er war bepackt mit Taschen und einem großen blauen runden Schild, das ich auf die Schnelle nicht einordnen konnte. Jedenfalls wirkte er etwas überfordert auf mich, da sein Hund immer einen Schritt weiterging, wenn er gerade den Karabiner einhaken wollte. Kurzerhand stellte ich mich vor den Hund und sagte, »Bleib!« Und Hundi blieb. Herrchen konnte nun also endlich anleinen, bedankte sich und wollte ins Kaufhaus marschieren. »Oh«, sagte er »da dürfen Hunde ja gar nicht rein.« Er drehte sich um und sah mich mit seinen freundlichen blauen Augen an. »Stehen Sie hier noch eine Weile?«
»Wie lange denn?«, frage ich zurück.
»So zehn Minuten vielleicht. Es ist ja nur, damit sie niemand klaut.«
Sie – das war Tali und ging mir bis unter den Hintern.
»Ach! Und mir vertrauen Sie einfach so, dass ich sie nicht klaue?«
»Ja! Ihnen vertraue ich sofort«, antwortete er lächelnd, »Sie sind doch bestimmt verabredet?«, fragte er weiter, nachdem ich ihm schon nickend zu Verstehen gegeben hatte, dass Hundsitting für mich in Ordnung gehen würde.
»Ach, ich bin mir nicht so sicher, ob da noch jemand kommt.« Während er die Leine um einen Laternenpfahl band, tippte ich meine Nachricht an Mr. Pete zu Ende: Magste nicht mehr? Dann schreib’s mir einfach 😉, und steckte das Handy in die Manteltasche. »Hallo Tali«, begrüßte ich darauf den Kurzhaarriesen und kraulte sie hinterm Ohr. »Und sie weint Ihnen nicht hinterher?«, fragte ich den Mann mit dem blauen Schild, »und wenn es länger dauert, oder sie weint, soll ich dann eine Runde mit ihr laufen?«
»Ja, das wäre gut.«
»Aber wie wissen Sie denn dann, dass ich spazieren bin und nicht Ihren Hund klaue?«, fragte ich weiter.
»Hier«, antwortete er und griff in seine Jackentasche, »das ist meine Karte. Auf der Rückseite ist meine Mobilnummer. Ich bin der Gründer von diesem Verein da vorne drauf. Und deswegen muss ich jetzt auch dort rein. Wenn ihr loslauft, oder du weg gehst, ruf mich einfach an.«
»Ja, also ich werde nicht einfach gehen und den Hund alleine lassen«, rief ich ihm hinterher und sah mir die Karte an. Das er mich duzte, war in Ordnung. Hund und Herrchen sind okay, dachte ich und überlegte, woher ich den Slogan auf der Visitenkarte kannte.
»So, Tali, nun stehen wir beide hier und nicht vor dem Eingang zum Kaufhaus. Wie ich das so sehe, bin ich sowieso ein Blind Date Loser und somit ein Glücksfall für dein Herrchen.« Ich kraulte erneut ihr Ohr, als sie anfing zu fiepen und holte das Handy aus der Manteltasche. Mr. Pete hatte geantwortet. Sorry, trau mich nicht mehr.
Ups, war erstmal alles, was mir als Reaktion dazu einfiel, gefolgt von Woran liegt’s?
Antwort erhielt ich auf diese Frage allerdings nicht mehr. Mein Versuch, die Leute im Umfeld abzuscannen, um herauszufinden, wo er stünde und mich beobachtete, blieb ergebnislos. Wieder dachte ich über meine Kleidung nach. War der Schal zu rot? Öhm … mehr Bedrohliches fiel mir jedoch auf die Schnelle nicht ein.

Ja nun. Ich blieb also bei Tali, die sich zitternd an meinen Schenkel drückte. Auch mir wurde langsam kalt und meine frisch lackierten Fingernägel waren vom Kraulen hinter dem Ohr mittlerweile so vom Talg überzogen, dass ich mit ihnen ohnehin keinen Glühwein mehr trinken wollen würde.
Zehn Minuten waren längst um. Ich bin ja kein Mädchen in solchen Dingen. Aber langsam starben meine Fingerspitzen ab. Handschuhe? Pfff. Ja – in der Rhön vielleicht.
Ich musste Tali mehrmals beruhigen. Sie wieder zu mir rufen. Zum Sitz auffordern. Nee, dachte ich irgendwann, das geht nicht mehr. Karte raus. Handy raus. Nachricht getippt. Ich glaube, sie friert, denn die Hündin zitterte immer stärker. Keine Reaktion. Jetzt geht das schon wieder los, dachte ich und überlegte, ob irgendwo eine versteckte Kamera mitliefe und wie lange die das Spiel dann wohl treiben würden. Kurzerhand rief ich an. Tuut – tuut – tuut – Mailboxansage. Ich sabbelte rauf, dass wir jetzt mal ’ne Runde drehen, und er sollte mich dann halt anrufen, wenn er fertig wäre.
Ich fummelte mit klammen Fingern den Karabiner von der Laterne und wickelte mir das Ende um die Hand. Darauf eingestellt, dass mich Tali sofort über den Platz schleifen würde, direkt durch den Eingang ins Kaufhaus hinein, stemmte ich mich schon leicht gegen die Richtung. Aber sie stellte sich zum Glück als taffe Hündin heraus. Sie folgte mir. Blieb bei Fuß. Ignorierte andere kläffende Hunde. Und so drehten wir eine Runde um den Block und es tat mir gut, mal wieder einen Hund bei mir zu haben. Das hätten wir einfach gleich so machen sollen. Nach etwa fünf oder sieben Minuten gelangten wir zurück. Ich lenkte schon aus der Ferne sehnsüchtig meinen Blick auf den Eingang, wo ich den Mann mit den blauen Augen nebst blauem Schild erhoffte. Niemand da.
Ich hatte Hunger und mir war kalt. Gerade, als ich die Leine wieder an die Laterne binden wollte, wedelte uns von der Hausecke das blaue Schild freudig im Laufschritt entgegen.
»Oh«, sagte ich, »nun hattest du wohl doch Panik?!«
»Ja, etwas«, meinte Herrchen.
»Hast du meine Nachricht nicht bekommen?«
Er nestelte umständlich das Handy hervor, während Tali überglücklich an ihm hochsprang. »Ja, jetzt, alles klar. Also du hast mir einen großen Gefallen getan, ich würde dich ja auch zu einem Glühwein … aber ich muss zu meiner Family.«
»Alles klar«, erwiderte ich und hielt seine Hand länger fest, als nötig. »Das muss jetzt mal sein«, sagte ich und grinste ihn an, »die ist so schön warm.«

***

Der Bus fährt ab und lässt mich in einer Abgaswolke stehen. Weil er es kann, würde er sagen, wenn er ein Nerd wäre. Von mir aus kann er es auch, denn er ist nicht der Bus, dessen Ankunft ich seit fünf Minuten entgegen bibbere. Und eigentlich kann er es sowieso überhaupt, weil ich nicht nur nicht auf ihn warten wollte in dem Moment, sondern auf überhaupt keinen Bus, denn ich war zum Bummeln über den Weihnachtsmarkt … Der Gedanke zaubert mir eine winzige Träne ins Knopfloch und füttert die Sehnsucht, meine Sinne in Glühwein und Feuerzangenbowle zu tauchen. Die Füße und Hände vielleicht gleich mit.
In dem Augenblick rast ein Autokorso um die Ecke, begleitet von Hochzeitshuperei und kreischenden Frauenstimmen. Die Stimmen gehören zu heraushängenden Köpfen, die mich an Fahrten mit der Berg- und Talbahn auf Jahrmärkten erinnern. Und das um diese Uhrzeit. Wer heiratet denn am Abend? Ich wundere mich, dass bei denen noch kein Vereisungsprozess eingesetzt hat. Dem Alkohol-ich-hab-dich-lieb-Gejohle entnehme ich allerdings, dass die Feier schon eine Weile zu gehen scheint und mir fällt ein, dass Hochprozentiges bekanntlich nicht so schnell friert. Da haben wir es wieder … GLÜHWEIN, WO BIST DU?
Auf der anderen Seite, quasi vier Fahrspuren von mir aus gesehen gerade aus und dann noch einmal vier Fahrspuren nach links, steht das Best Western President. Als ich die Leuchtbuchstaben des Namens lese, fällt mir ein, dass Mr. Pete ja geschrieben hatte, er würde dort abgestiegen sein. Na, denke ich, stehst du jetzt hinter irgend einem der toten Fenster und beobachtest mich oder machst du dich jetzt für die Sauna fertig, anstatt mit mir dieses köstliche Gesöff dem Wochenende entgegen prosten zu lassen … Ich lache laut auf und entschuldige mich bei der Dame hinter mir. Muss schon dämlich aussehen, einen hässlichen Hotelbau anzustarren und dabei wie blöde zu grinsen. Aber was bleibt mir sonst übrig, versetzt und nüchtern wie ich bin. Um 20:23 kommt mein Bus. Schönen Advent noch, Mr. Pete.

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